Gastbeitrag von Sira
Mehrere Jahre war ich für ein Hospiz tätig. Ich war in den verschiedensten Pflegeheimen, in einer Tumorbiologie und bei den schwerkranken, auch im Sterben liegenden Menschen zu Hause tätig. Aus eigener Erfahrung kann ich jedem ans Herzen legen, unerledigte Dinge, wie es auch benannt wird, zu erledigen, um dadurch leichter hier auf Erden gehen zu können. Loslassen zu können.
Wenn Du Dein Leben auf einer Lüge aufgebaut hast, Du Dich schon lange bei jemandem entschuldigen wolltest, dann tue dies in deinem jetzigen Leben.
Denn wenn diese unerledigten Dinge vor deinem Tod nicht erledigt sind, dann kann dies zu einem qualvollem, in die Länge gezogenem Sterbeprozess führen. Ich selbst habe erlebt, wie es ist, wenn ein Mensch nicht gehen konnte. Ebenso habe ich miterlebt, wie es war, als ich diesem Menschen die Schuld genommen habe. Er starb daraufhin keine halbe Stunde später. Mehr möchte ich hier nicht darauf eingehen.

In Gedenken an Stanislav
Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod. In einem natürlichem Sterbeprozess läuft es in der Regel so ab, dass gewisse Merkmale erkennbar werden. Zum einen wird die Nase spitziger und es bildet sich sehr häufig ein kleines blaues/ lila Dreieck vorne an der Spitze.
Was wirklich jeder Mensch durchlebt, so habe ich es erfahren dürfen, ist das Füllen der Lungen mit Wasser. Es fängt an zu Brodeln, Röcheln und Glucksen. Als ich das zum ersten Mal dann wirklich gehört hatte, bin ich total erschrocken und hatte gleich um Hilfe gebeten. Ich wurde damit beruhigt, dass dies zum Sterbeprozess dazu gehöre. Und wahrlich. Bei den Menschen, bei denen ich beim Sterben dabei war, füllte sich die Lunge mit Wasser. Das Geräusch kann richtig heftig laut werden, doch keine Angst. Auch für die Angehörigen, die das miterleben und sich vielleicht ängstigen, allein wegen dem Geräusch und der Vorstellung der Sterbende bekomme keine Luft mehr. Das ist ein natürlicher Prozess und gehört zum Sterben dazu. (Also bitte nicht versuchen, das Wasser abzupumpen.) Ebenso gehört dazu, dass der Sterbende selbst entscheidet, wann er nicht mehr essen und trinken will.
Da hatte ich eine Situation in einem Pflegeheim. Es war abzusehen, dass dieser Mensch bald sterben würde. Diese Frau presste die Lippen zusammen, als man sie füttern/ trinken lassen wollte.
Für mich ein klares Zeichen, nein, diese Frau möchte nicht mehr. Nein.
Die Angehörigen akzeptierten meine Äußerungen dazu nicht, als ich sagte: Ihre Mutter möchte nichts mehr essen und zu trinken, das gehört zu einem natürlichen Sterbeprozess hinzu. Sie zeige dies mehrfach durch das Zusammenpressen der Lippen. (Sie konnte sich nicht mehr mit Worten verständigen ). Die Angehörigen konnten es nicht ertragen, die eigene Mutter womöglich verdursten und verhungern zu lassen. Immer und immer wieder versuchten sie sich Eingang in ihren Mund zu schaffen. Furchtbar.
Das Ganze ging so weit, dass die Angehörigen beim Hospiz angerufen und sich über mich beschwert haben, dass ich die im Sterben liegende verhungern und verdursten lassen würde. Die Heimleitung bestätigte den natürlichen Sterbeprozess und somit mein Verhalten.
Aber schon echt heftig. Die Frau presst eindeutig mehrmals die Lippen zusammen und doch versucht man mit Gewalt einzudringen, weil man nicht loslassen kann von dem geliebten Menschen.
Ich kann mich nur noch einmal wiederholen.
Räumt in Eurem Leben noch auf, wo ihr fühlt, da läuft was nicht in die richtige Richtung oder da hab ich echt Scheiße gebaut.
Auch den ganzen Ärzten, Polizisten, all den Gespritzten, den Soldaten, den Lehren und den Eltern. Ich möchte Euch sagen: Seit ehrlich. Gesteht Euch Euere Fehler ein, auch wenn das ein Gefühl des kaum auszuhalten ist.
Doch im Sterbeprozess kann dies unglaublich helfen, einfacher, leichter, mit weniger Kampf von hier gehen zu müssen.
Was ich auch total interessant fand, dass der Sterbende selbst bestimmen konnte, wann der Tod eintritt.
Einmal sass ich schon mehrere Stunden neben einer Dame. Ich kannte diese Dame nicht, die Pflegeleitung vom Pflegeheim forderte Unterstützung an. Eine Bekannte war auch noch kurz da, die meinte, die Sterbende hätte ein gutes Leben gehabt. Ihr Mann starb allerdings sehr früh.
Ich meinte so, dann hatte sie es allerdings noch viele Jahre schwer ohne ihren Mann. Einfach so sagte ich dies.
Eine halbe Stunde später, als die Bekannte dann wieder weg war, legte ich meine Hand auf ihren Unterarm. Ich sagte nur, ach Frau Dingler ( Name geändert ). Und als dies geschehen war, genau ab da fing der ganze Körper an zu zittern. Nicht lange und dann dieses eine kurze Aufbäumen. Der letzte tiefe Atemzug (der jeder einmal von uns tun wird) und sie verließ ihren Körper. Ich weiß bis heute nicht, ob ich mir das eingebildet habe, aber über ihrem Bauch (Brustansatz) erschien etwas Verschwommenes. War das die Seele? Da flackerte etwas. Nicht lange. Und verschwand. Das Fenster war auf.
Das war meine allererste Begleitung, in der ein Mensch in meinem Beisein gestorben ist. Dieses Flackern hab ich nie wieder gesehen.
Einmal verließ ich ein Krankenzimmer und der Neffe, der im Sterben liegende betrat das Zimmer. Es ging keine 2 Minuten und die Frau war verstorben. Diese Frau hatte auf ihren Neffen gewartet. Dessen bin ich mir sicher.
Und eines kann ich auch mit Sicherheit sagen.
Zurück bleibt ein seelenloser Körper. Wirklich, wie eine Hülle.
Nach und nach verlischt das Leben in dem Körper.
Selbst der Darm glucksert noch einige Stunden nach dem Tod.
Und auch da, als ich diese Geräusche nach dem Tod zum ersten Mal gehört habe, dachte ich zuerst, dieser Mensch lebt ja noch. Doch auch dieser Prozess gehört zum Tod dazu.
Was danach ist?
Das weiß kein Mensch.
Mfg Sira
Andrea Scholz
Lieben Dank für deinen Artikel, Sira.
Es stimmt nachdenklich, wie wenig wir wissen, meist verdrängen, dass es uns alle betreffen wird.
Wie weit sind wir vom Lebendigsein entfernt, wie tief ist ‚das System‘ in uns verankert, dass wir einem Sterbenden zwangsernähren wollen.
Wie wenig Gefühl ist noch da, Zeichen oder Veränderungen eines Menschen, der sich auf den Weg macht, zu erkennen.
Das stimmt mich echt traurig.
Umso mehr stösst mich dein Artikel an, mich wieder diesem Gebiet zu widmen.
Manuel
Sehr schöner Beitrag, danke Sira! Das Thema Tod wird meiner Meinung nach viel zu selten behandelt, obwohl es vermutlich eines der interessantesten ist, weil vermutlich zu viele Menschen Angst haben davor. Ich kann jedem die letzten Beiträge auf dem Kanal „die Zuversicht“ empfehlen, der sich eingehender mit diesem Phänomen beschäftigen möchte, das für jeden von uns irgendwann aktuell wird.
Astrid
Lieben Dank für dein mitteilen , ich kann das von meinem Vati sagen , er wollte auch allein gehen..
Es ist wunderbar wenn du die Hand des Sterbenden hältst.
Meine Hochachtung !
Petra Besthorn
Als meine Mutter mit 86 immer dementer wurde, sagte sie in lichten Momenten oft „Ach ich möchte nicht so blöde weden“ dann stierte sie wieder stundenlang nur noch vor sich hin. Als wir einmal zusammen am Teich des Altenheimes saßen fragte ich sie: „Möchtest du sterben“ und da schaute sie auf und mir direkt in die Augen, nickte und sagte eindringlich „Ja“. Weil ich wusste, daß sie immer noch aufräumen wollte, sagte ich zu ihr: “ Das darfst du jetzt, wir räumen für dich auf. (meine Schwester und ich) Daraufhin hat sie aufgehört zu essen und zu trinken. Der Arzt wollte sie künstlich ernähren aber wir hatten eine Patientenverfügung. Das Altenheim hat das Zimmer meiner Mutter sehr schön hergerichtet und ich hab noch ein paar Sprüche aufgehängt wie zB “ Ich bin im Frieden mit mir“ oder“ Alles ist gut so wie es ist“ etc . Meine Schwester und ich haben abwechselnd bei ihr gewacht und meine Schwester hat ihr noch gesagt sie wäre eine gute Mutter gewesen und solche Dinge. Nach 3 Tagen ist sie friedlich verstorben und zwar genau in dem Moment als ich das Zimmer verließ weil meine Schwester anrief und fragte ob alles ok wäre sie hätte ein so komisches Gefühl. lch habe das Ganze als sehr schön empfunden, wie eine Geburt rückwärts. Ich hoffe dass ich mit meinem Beitrag Menschen ermutigen kann Angehörige gehen zu lassen. Der Tod kann auch etwas schönes haben wenn er in Frieden geschieht.
Bernd Fischlschweiger
Genau das meinte ich in meinem Kommentar in deinem letzten Artikel (Sterbender Inhalt), als ich schrieb, wir können im Außen nichts ändern, nur in uns. Ehrlich zu sein und sich seiner Masken bewusst zu werden, um sich ihrer entledigen zu können. Sich selbst zu suchen, durch das Erkennen und Ablegen der Masken, um seine Seele freizulegen. Das ist die spirituelle Reise zu sich selbst und es führt kein Weg daran vorbei. Nur im Leben erkennen wir uns selbst, darum sind wir am Leben. Wenn die Seele den sterbenden Körper verlassen hat, ist es zu spät, sich selbst zu erkennen. Natürlich kommt unsere unsterbliche Seele wieder, doch sie kann sich nicht mehr erinnern und so drehen wir Runde um Runde und es wird niemals enden. Es sei denn, man hat sich in diesem Leben schon erkannt und gefunden.
Reinen Tisch gemacht.
Leider ist diese Suche eine kaum zu bewältigende Arbeit, doch es muss sein. Einen anderen Weg gibt es nicht, will man diesem Spiel der Dualität entkommen. Denn im Gegensatz zu diesem Gut und Böse Spiel, ist das unser Spiel.
LG Bernd
Lilly
Danke für das Teilen dieser so wertvollen Erfahrungen. Ich war dabei, als meine Mutter mit gerade einmal 56 Jahren starb. Als ihre Todesstunde kam, rief man uns dazu, die Familie, wir waren bei ihr. Es ging aber noch den ganzen Vormittag, die Unruhe, das Zittern, ein Pfarrer war gekommen, sie lag schon im Koma, war aber noch ansprechbar. Als wir mittags total erschöpft, auf Anraten der Krankenschwester kurz zur Stärkung in die Kantine gehen sollten und das Zimmer verliessen, ist sie in genau dieser Zeit, als wir weg waren, gegangen. Sie wollte das alleine tun. So, als ob sie endlich das tun durfte, was ihr ein Leben versagt war: endlich einmal alleine sein. Sie ging erlöst.
Lea Söhner
Schöner Artikel. Vielen Dank, Sira.